Schweigen

Schweigen als Traumafolge

Schweigen in der Kommunikation

Es steht im Alten Testament: „Ein jegliches hat seine Zeit (…) Schweigen hat seine Zeit, Reden hat seine Zeit“ (Prediger/Kohelet 3, 1-17). Was selbstverständlich scheint, ist heutzutage keineswegs mehr selbstverständlich. Da sprechen und lärmen die Dümmsten am lautesten. Und die Weisen hüllen sich verschreckt und verstohlen in Schweigen. Aber ist Schweigen tatsächlich Gold?
Schweigen ist nicht nur Nichts-Sagen. Zwar setzt es die Sprache voraus, aber es ist nicht nur das Gegenteil von Sprechakten. Vielmehr ist es eine eigene Art des Ausdrucks, der Kommunikation zwischen Menschen: „Ein Blick sagt oft mehr als tausend Worte“. So kennt es der Volksmund. Und so kennen es zwei Nachkriegsgenerationen in Deutschland. Schweigen war in vielen Familien der ersten drei Jahrzehnte nach dem Krieg Programm. Entsprechend haben viele sogenannte Kriegsenkel*innen versucht, das Befinden und die Gefühle ihrer Umgebung zu sondieren, eine Art Monitor für ihre Bezugspersonen zu entwickeln. Vielleicht konnte das Kind ja so doch noch erahnen, was in Mama oder Papa vor sich ging.

Krankhaftes Schweigen

Leider ist das Nachkriegsschweigen eben keine „normale“, nonverbale Kommunikation, die – bis zu einem gewissen Grad – heilsam und notwendig ist. Sondern es ist/war vielmehr ein toxisches Schweigen. Die Großeltern-Generation schwieg, um zu vergessen, zu verdrängen, zu verleugnen. Sie schwieg zum Selbstschutz. Deren Kinder, die Kriegskinder wuchsen oft in einem emotionalen Niemandsland auf. Das Schweigen hinterließ in ihnen die Einöde der Ungewissheit. Was sich nicht ausdrückt, hinterlässt in uns keinen Eindruck. Und das elterliche Schweigen war eben nicht nur ein Nicht-Sprechen, es war ein Einfrieren, eine Entfremdung.
Und so begann die Kriegskinder-Generation ihr Schweige-Niemandsland zu verminen. Noch heute merken die Kriegsenkel*innen, dass sie fast überall auf solche Gefühlsminen treten können. Eben ist das Gespräch mit den Eltern noch gelöst und herzlich, dann schlägt die Stimmung um: Wir sind – wieder einmal – auf einen Zünder getreten. Ich wähle übrigens hier ganz bewusst Worte der Lingua militans, also Kriegsmetaphern in der Alltagssprache (die leider immer noch Denken und Fühlen mitbestimmen).

Die Formen des Schweigens

Schweigen kann eine Waffe sein. Eisiges Schweigen lässt uns erstarren. Und verstummen. Schweigen ist uns oft auch als Strafe erschienen, als wir Kinder waren. Wir wurden allein gelassen mit unseren Ängsten. Dabei hätten wir sie so gern eingeordnet und verstanden. Ich denke, dass bei vielen Menschen der mangelhafte Zugang zu ihrem Empfinden eine Folge der fehlenden Resonanz durch das eisige Schweigen in der Kindheit ist. An die Stelle des natürlichen Umgangs mit Gefühlen trat oft der unkontrollierte Affekt. Unbeherrschbare Wut, Angst oder Trauer. Fatalerweise können viele Kriegsenkel noch nicht einmal dann ihre Gefühle benennen. Stattdessen treten sie wieder ein in die Schuld- und Schamspirale. Tot(!)schweigen ist eine Waffe. Es ist für manche Menschen so bedrohlich, dass sie lieber den Freitod wählen, als sich dieser Qual auszusetzen. Fatalerweise können wir in einem Akt der Selbstzerstörung quasi auch uns selbst tot-schweigen. Alles, was uns ausmacht, unsere Träume und Bedürfnisse sterben auf diese Weise ab, lange bevor wir physisch tot sind.

Schweigen kann Unsicherheit verdecken. Wer schweigt, macht – scheinbar – zunächst nichts falsch. Aber er/sie bezieht auch keine Stellung. Fehlende Stellungnahme lässt diese Menschen aber oft fade, nebulös, unklar und auswechselbar erscheinen.

Schweigen kann ein Zeichen von Scham sein. Wenn ich mir meiner selbst nicht sicher bin, dann schäme ich mich für das, was ich meine, zu sein. Nicht gut genug. Nicht liebenswert. Immer in der Angst, von der Gruppe ausgestoßen zu werden. Schweigen ist dann der Versuch, die (von vielen so empfundene) Isolationshaft des Alleinseins zu vermeiden.
Schweigen ist nur einen Hauch vom Ver-Schweigen entfernt. Die „Dolchstoßlegende“ nach dem Ersten Weltkrieg ist ein historisches Beispiel für ein beredtes Verschweigen, das fatale Folgen hatte. Die wahren Zusammenhänge wurden von rechts-nationalen Kräften verschwiegen, dafür wurden jedoch umso mehr Schuldige gesucht und angeprangert (Demokraten, Pazifisten, jüdische Bürger).

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