Ein Nazi-Krimi – darf der das?

Ethisch verantwortlich schreiben
Romane sollen Würde vermitteln
Hoffnung gedeiht auf den kärgsten Böden

Ein Krimi, der gegen Ende des Dritten Reichs spielt? Unterhaltung vor dem Hintergrund von Leid und Tod? Themen wie Holocaust, Vertreibung, Flucht von NS-Tätern in einem Roman? Während einer Lesung zum ersten Band der Jens-Druwe-Reihe (Totenland) wurde ich gefragt, ob das legitim, „angebracht“, vertretbar wäre.

Moral und Unterhaltung

„Gebietet nicht der Respekt vor den Opfern des Terrors und Weltkriegs, dass man darauf verzichtet, das Thema belletristisch umzusetzen?“ fragte eine Zuhörerin. Und diese Frage hat mir durchaus zu schaffen gemacht. Mittlerweile bin ich in dieser Hinsicht zu einer klar gefassten Meinung gekommen: Ich darf. Eher vordergründige Argumente hierfür könnten sein:

  • Viele schreckliche Ereignisse der älteren und jüngeren Geschichte wurden von Autor*Innen, Filmemachern etc. erzählerisch umgesetzt. Denken wir nur an die Aufarbeitung des Vietnam-Traumas… Dabei wurde und wird auf mögliche Sentimentalisierung und Einseitigkeit keinerlei Rücksicht genommen.
  • Bereits seit den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts fühlten sich anglo-amerikanische Schriftsteller berufen, das Thema „Nazi-Deutschland“ in der Unterhaltungsliteratur aufzugreifen. Dabei ließ die Kompetenz hinsichtlich figuraler Komposition und Recherche-Tiefe sehr oft zu wünschen übrig.

Aber so einfach (nach dem Motto: „Wenn andere das tun…) möchte ich es mir nicht machen. Spätestens die Werke der Unterhaltungsindustrie im Rahmen von Holocaust/Shoa-Diskurs verdeutlichen, dass wir es hier immer mit einer Gratwanderung zu tun haben. Darf der unsagbare Schrecken künstlerisches (?) Vehikel für – benennen wir es offen – kommerzielle Interessen sein? Wird Leid auf diese Weise monetarisiert? Erlegt nicht gerade der NS-Terror uns hier ethische Grenzen auf? Macht nicht der Respekt vor den Opfern ein Innehalten vor bestimmten Projekten notwendig? Auf solche Fragen antworte ich mit einem klassischen Jein: Ja, es gibt Grenzen. Denn die Entwürdigung von Opfern darf durch eine würdelose Arbeit nicht noch verstärkt werden. Wir dürfen nicht verharmlosen, „verniedlichen“ und das Grauen quasi normal werden lassen. Und nein, Kunst darf diese Themen in (fast) allen Formen aufgreifen, muss es sogar.

Regeln für moralisches Schreiben
  • Zu allen Zeiten und in allen Kulturen war es schon immer eine Art der inneren Verarbeitung, Geschichten zu erzählen.
  • Einige Themen wie der Holocaust erfordern eine Erzählkunst, die die Würde der Opfer wiederherstellt, sie nicht noch weiter in Frage stellt.
  • Autor*Innen haben (noch mehr als sonst) die Pflicht, akribisch zu recherchieren. „Zudichtung“ darf nur insofern erfolgen, als sie stimmig mit dem historisch verbürgten Bild ist.
  • Die Buchgeschichte hat sich einzufügen in den historischen Kontext, um zu vermeiden, dass Historie verbogen und uminterpretiert wird. Der Autor ist insofern nicht ganz künstlerisch frei und muss das akzeptieren können.
  • Je unglaublicher die Opferzahlen und Schreckenberichte sind, desto schneller schaltet sich die emotionale Rezeption unseres Verstands ab. Hier kann die Fokussierung auf Einzelschicksale, auf „kleine“ Lebensgeschichten in der großen Geschichte helfen, wieder einen Bezug zu finden und Betroffenheit zu wecken.

Ich stehe als Autor von „Totenland“ und „Totenwelt“ dafür ein, mich an die mir selbst auferlegten Regeln zu halten. Und ja, unter diesen Voraussetzungen halte ich es für ethisch machbar, Romane aus der NS-Zeit (mit all ihren Facetten) zu schreiben.

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